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Posts Tagged ‘Weltwirtschaftskrise’

Die Fischerteppiche werden aufgrund ihrer Knüpftechnik auch als „Perser von der Ostsee“ bezeichnet. Als Erfinder des deutschen Perserteppichs kann – laut meinen Forschungen – Kurt Tucholsky gelten. Wen wundert’s, das Textile steckt ja bereits im Familiennamen (Tucholsky). In einem „Blogartikel“ von 1926 lässt der hellsichtige Weltbühnenautor den ungeborenen Peter Panter (eines von Tucholskys Pseudonymen) zwischen drei von Gott erstellten Biographien wählen. Und der wählt: dazwischen. Die erste, weil entscheidende Biographie gebe ich auf das Nötigste gerafft wider:

„Peter Panter: Geboren am 15. April 1889. Vater: Quartalssäufer, das Jahr hat fünf Quartale. Mutter: Abonnentin des ‚Berliner Lokal-Anzeigers‘. Zwei Frauen: Annemarie Prellwitz, edel; Ottilie Mann, von großem Gebärfleiß. Vier Söhne; danach Anschaffung eines deutschen Perserteppichs.“ (Drei Biographien: I.)

Den Fischerteppich selbst gibt es seit 1928, also seit immerhin 80 Jahren. In dieser Zeit, die so ziemlich einem Menschenalter entspricht, ist viel passiert. Die Idee der Fischerteppiche hat so einiges durchgemacht, zum Beispiel die zwölf Jahre Tausendjähriges Reich.

Obwohl die Fischerteppiche bereits in den Jahren der Weltwirtschaftkrise von 1929 etabliert worden sind, hinderte das die braunen Propagandisten nicht daran, die Pommerschen Fischerteppiche als uralte nordischen Tradition darzustellen. Runen und Sonnenräder (beispielsweise als Vierfischwirbel oder Eichkaterrosette) hielten Einzug und gehörten fortan zum üblichen Motivvokabular.

In den 1940ern wurden Teppichherstellung und Verkauf allerdings verboten, der “Vater” der Fischerteppiche, Rudolf Stundl, sogar inhaftiert. Ein Beleg für die ideologische Vereinnahmung ist der nachfolgend zitierte Text einer Werbebroschüre aus den 1930ern. Bereits der einleitende Satz klingt nach Onkel Adolfs Märchenstunde und konstruiert einen für die Zeit typischen Blut-und-Boden-Romantizismus. Die abstrustesten Stellen habe ich für die unbedarfte Leserschaft des leichteren Erkennens wegen unterstrichen:

Handgeknüpfte Fischerteppiche in Pommern

Wenn im Winter die Fischerboote mit dicken Schneehauben in den Häfen liegen und der Nordweststurm das Treibeis in Haff und Ostsee zu Bergen aufeinanderschichtet, machen sich seit altersher die Fischer an das Flicken ihrer Netze und Segel und daneben an das Knüpfen der heute in Deutschland bekannten Fischerteppiche.

Die schöne Kunst der Teppichknüpferei hat sich in den Fischerdörfern der Inseln Usedom und Wollin von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. Während in früheren Zeiten nur das beim Netzeknüpfen abfallende Material zum Knüpfen der Teppiche verwendet wurde, wird heute zum Teil selbstgesponnene Wolle verwandt.

In die Teppiche knüpften die Fischer bereits früher das hinein, was ihre Gedankenwelt erfüllte: Netze und Fische, Wellen und Anker, Koggen, Runen, Wappentiere und Hausgeräte. Im Laufe der Jahrhunderte bildete sich eine wahre Volkskunst heraus. Die Freude am Schönen, der Sinn für Ornamentik liegt den Usedom-Wolliner Fischern im Blute, so dass sie immer neue und doch stets arteigene Teppichmuster schaffen.

Schon mancher handgeknüpfte pommersche Fischerteppich schmückt heute das Heim einer deutschen Familie. Der sogenannte „echte Perser“ ist nicht mehr zeitgemäß. Jeder glückliche Besitzer eines pommerschen Fischerteppichs empfindet voll Freude, ein wertvolles Stück deutscher Volkskunst zu besitzen.

Zur Herstellung eines Quadratmeters dieses Teppichs (mit einem etwa zwei cm dicken Flor) müssen 50.000 bis 86.500 Knoten handgeknüpft werden. Die Wolle ist gegen Motten eulanisiert. Mehrere Verkaufsstellen im Reiche sichern einen laufenden Absatz der Teppiche. Außerdem haben die Besucher unserer schönen Seebäder Gelegenheit, in der Knüpf- und Webeschule Seebad Heringsdorf eine Ausstellung der schönen Teppiche zu besichtigen und Bestellungen aufzugeben. Da dieser Prospekt nur eine kleine Auswahl zeigen kann, ist ein Besuch der Knüpf- und Webeschule oder eine der Verkaufsstellen zu empfehlen.

Pommersche Fischer–Teppich–Heimknüpferei e.V.
Swinemünde – Fernruf 28 21

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