Afghanistan hat eine lange Tradition in der Teppichherstellung. Die Orientteppiche mit ihren klassischen Ornamenten wurden in der jüngeren Geschichte durch Webstücke mit einer ungewöhnlichen Bildsprache verdrängt: Kriegsteppiche.
Vor einiger Zeit entdeckte ich beim Durchblättern eines Jahrbuchs von Brockhaus (ich glaube, es war das Jahr 1994, und ich glaube, es war Brockhaus), eine Abbildung mit einem Teppich, den ich zuerst für einen Fischerteppich hielt. Zu ähnlich war die Art der naiven Darstellung, Farben und Anordnungen. Doch dann stutzte ich und sah genauer hin. Der Teppich zeigte keine Fischelein, sondern Handgranaten oder etwas in der Art. Es handelte sich um einen War rug, einen afghanischen Kriegsteppich.
Afghanistan kann auf eine lange Tradition des Teppichknüpfens zurückblicken. Allerdings waren diese Teppiche meist für den privaten Gebrauch gedacht, z.B. als Mitgift. Erst eine Kette von Kriegen, die das Land seit 30 Jahren plagen, brachte eine Zäsur. Als die Rote Armee der Sowjetunion 1979 in Afghanistan einmarschierte und dabei ihr eigenes Vietnam erlebte, flohen viele Afghanen ins Nachbarland Pakistan. In den dortigen Flüchtlingslagern wurden diejenigen, die in der Lage waren, Teppiche zu knüpfen, dazu angehalten, Motive aus ihrem eigenen Leben aufzugreifen. Das erinnert an die Herangehensweise von Rudolf Stundl, der 1928 maritime Motive wählte und kreierte, um die Lebenswelt der pommerschen Fischer auf den Freester Fischerteppichen einzufangen.
Die Afghanen wählten Motive aus dem Krieg. Also Handgranaten, Kalaschnikows, Panzer und Hubschrauber. Diese Motive wurden oft wie Ornamente verwendet, also gespiegelt oder in sich selbst wiederholender Reihung als umlaufende Teppichbordüre. Als sich die Sowjets 1989 aus dem bergigen Land und dem Krieg zurückzogen, folgte ein blutiger Bürgerkrieg zwischen den Mudschaheddin, aus dem die Taliban als Sieger hervorgingen.
Dann kam der 11. September 2001, und die NATO unter Federführung der USA marschierte in Afghanistan ein. All das findet sich auf den Teppichen wieder. So gibt es ganze Editionen, die den Anschlag auf die Zwillingstürme des World Trade Center abbilden. Andere zeigen regionale Warlords, Politiker oder die geografischen Umrisse des Landes. Das neueste Motiv sind Drohnen (seit 2014), die neuerdings von den USA zu Aufklärungszwecken verwendet werden.
Inzwischen existiert ein richtiger Markt für diese recht merkwürdige Volkskunst und die internationale Nachfrage von Kunst- und Teppichliebhabern muss bedient werden. So produzieren die Patschtunen heute weniger klassische Orientteppiche und vermehrt bildliche Kriegsteppiche. Trotz des Bilderverbots radikal-orthodoxer Muslime! Wer „war rugs“ in die Bildersuche seiner bevorzugten Suchmaschine eingibt, bekommt die schrägsten Ergebnisse geliefert. Es lässt sich schlecht sagen, ob die Kriegsteppiche den Krieg verherrlichen oder verteufeln. Zu bunt ist die existierende Auswahl.
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